In Konflikten geht es zur Sache. Aber geht es auch um die Sache? Vielleicht; doch häufiger als man glauben könnte, geht es vor allem um die Selbstbehauptung. Verhärtete Standpunkte sind die
Konsequenz, Dauerkonflikte die Folge. Wie aber bringen Sie Bewegung „in die Sache“? Der Schlüssel sind die wahren Interessen der Parteien, die, von vordergründigen Positionen verdeckt, das
Potenzial für eine einvernehmliche Lösung bergen.
Nachfragen
Angenommen, zwei Mitarbeiter streiten, ob im gemeinsamen Büro warme Speisen verzehrt werden dürfen. Natürlich, behauptet der eine – auf keinen Fall, der andere. Und schon ist der schönste Streit
im Raum, der beiden nicht nur den Appetit, sondern auch den Spaß an der Arbeit verdirbt. Was tun Sie als Vorgesetzter? Die Streitenden auffordern, den kindischen Streit sofort zu beenden? Dann
raufen sich die beiden vielleicht wirklich zusammen, weil sie nämlich ein neues Feindbild haben: Sie. Vielleicht ziehen Sie es vor, selbst kurz und knapp zu bestimmen, ob der Schreibtisch auch
Mittagstisch ist? Klar, als Führungskraft besitzen Sie die Autorität. Anderseits: Autoritäre Entscheidungen fördern selten die Motivation. Was also unternehmen, wenn zwischen einem Ja und Nein
kein Platz für Mittelwege zu sein scheint? Nachfragen! Finden Sie heraus, worum es den Streitenden wirklich geht. Hinter starren, eng umzäunten Positionen sind die eigentlichen Interessen oft auf
den ersten Blick nicht zu erkennen. Es lohnt sich aber, sie herauszufinden, denn auf der Ebene der Interessen gibt es meist viel mehr Spielraum für Übereinstimmung und Übereinkommen. Was aber
unterscheidet Positionen und Interessen voneinander?
Weiß, wer fordert, was er will?
Positionen äußern sich in Formulierungen wie „ich will, fordere, erwarte“. Stillschweigend oder ausdrücklich nimmt derjenige, der sie vertritt, die Haltung ein: so und nicht anders muss es
laufen. Positionen verlangen nach Zugeständnissen und provozieren meist Ablehnung. Das Feilschen beginnt. Derjenige, der sich weniger bewegen musste, mag sich für den Sieger halten. Doch da
könnte er sich täuschen. Erstens, weil der Sieg teuer kommen kann: Er hat die Niederlage des anderen zum Preis und irgendwann droht die Revanche. Der Konflikt nistet sich ein. Zweitens, und
dieser Punkt wird oft übersehen, weil solch ein „Kompromiss“ oft auch für den vermeintlichen Sieger nur ein fauler ist. Was er mit Ellenbogen durchgedrückt hat, entspricht nicht einmal seinen
eigenen Interessen – weil er die im Eifer des Gefechts nicht mehr wahrnimmt.
Heimlich, still und leise
Anders als Positionen, die hartnäckig und lautstark vertreten werden, sind Interessen die stillen Beweggründe dahinter: Bedürfnisse, Wünsche oder Sorgen. Sie sind die geheimen Antriebskräfte – so
geheim, dass wir uns ihrer häufig nicht bewusst sind. Wir rationalisieren sie, indem wir sie in Sachargumente verpacken, aus denen wir strikte Standpunkte ableiten. Vor allem in Konflikten geht
das rasend schnell. Durch Ärger und den Impuls der Selbstbehauptung werden selbst Interessen, die im Normalfall leicht zu identifizieren wären, im Nu verschüttet. Es müsste nur einer nachfragen,
zum Beispiel ein Vorgesetzter. Dazu braucht er keine speziellen Techniken, sondern nur eine offene Haltung und offene Fragen, mit denen sich die eigentliche Motive aufklären lassen, zum
Beispiel:
„Wie kommt, dass ...?“
„Was macht es für Sie wichtig, dass ...?“
„Was wäre für Sie anders, wenn... ?“
Auf diesem Weg wird er mit den Streitenden zu den wirklichen Auslösern des Konflikts gelangen, die der Schlüssel für eine dauerhaft tragfähige Lösung sind.
Kleine Ursache – große Wirkung
So könnte sich im eingangs skizzierten Fall zeigen, dass der Mitarbeiter, der die Mahlzeit im Büro einnehmen will, nur einer verqualmten Kantine ausweicht – das eigentliche Problem müssten also
an anderer Stelle gelöst werden. Oder es könnte sich erweisen, dass der ablehnende Kollege einfach nur höflich gefragt werden möchte; es sind häufig solche „Kleinigkeiten“, die große
Auseinandersetzungen auslösen, denn die wichtigsten Interessen sind die menschlichen Grundbedürfnisse:
So fundamental diese Bedürfnisse auch sind – sie werden, wie andere Interessen auch, leicht übersehen. Selbst wenn Geldfragen im Raum stehen, verbergen sich dahinter oft anders geartete Motive,
zum Beispiel, wenn ein Mitarbeiter mangelnde Anerkennung mit überzogenen Gehaltsforderungen „quittiert“. Wie auch immer die Lohnverhandlung ausgeht, sie löst das Problem nicht: Die
Gehaltsforderung (die Position also) ist nicht nur ein teueres, sondern auch untaugliches Mittel, das Bedürfnis nach Anerkennung (das leitende Interesse also) zu befriedigen. Es gibt effektivere
Mittel, das Engagement eines Mitarbeiters zu würdigen: persönliche Worte des Danks, ein öffentliches Lob, ein Privileg usw. Wo zuvor unvereinbare Forderungen in die Sackgasse geführt haben,
weiten die zutage geförderten Interessen den Spielraum für konstruktive Lösungen. Fragen Sie deshalb, wann immer strittige Forderungen erhoben werden, sich selbst und den (oder die) anderen:
„Warum?“ Verlangen Sie aber keine Rechtfertigung von Positionen, sondern ermutigen Sie, die Beweggründe zu offenbaren – dann stoßen Sie die Tür zu einer dauerhaft tragfähigen Lösung auf.
Nichts Halbes und nichts Ganzes
Wie fatal es sein kann, wenn Vorgesetzte, die einen Streit schlichten wollen, nur ihren Ohren trauen, illustriert der „Orangenfall“, in dem die „Vorgesetzte“ eine Mutter ist, die sich in die
Auseinandersetzung ihrer beiden Sprösslinge um eine Orange einmischt. Wie in jedem anständigen Konflikt wollen alle alles, also die ganze Frucht. Die Mutter macht kurzen Prozess und entscheidet
salomonisch – mit einem sauberen Schritt durch die Mitte. Hätte sie nur nachgefragt! Denn das Gezeter will, dem vermeintlich klugen Kompromiss zum Trotz, kein Ende nehmen. Was sie erfahren hätte,
wenn sie es hätte wissen wollen? Dass ein Kind nur die Schale wollte, aber bitte die ganze, um damit einen Kuchen zu würzen. Und dass das andere Kind Heißhunger auf das Fruchtfleisch hatte.
Gesagt hat das keiner. Und gefragt hat auch keiner. Gesiegt haben die Positionen, nicht die Streitenden.
Ass. jur. André Testrut
Wirtschaftsmediator (IHK)
Kaiserstraße 61
D-60329 Frankfurt am Main
Telefon: 069 / 27 22 76 55
E-Mail: info@sokratest.net
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Diese Klausel gehört in jeden Vertrag!
Die Wirtschaftsmediatoren (IHK) empfehlen, in jeden Vertrag folgende Mediationsklausel aufzunehmen:
"Die Vertragsparteien verpflichten sich, im Falle einer sich aus diesem Vertrag ergebenden oder sich darauf beziehenden Streitigkeit eine Mediation durchzuführen, bevor sie bei einem ordentlichen Gericht (oder Schiedsgericht) Klage erheben."
Konflikte sind wie Schnürsenkel -
wer sie offen lässt, droht zu stürzen.