Unlösbare Konflikte und wie man sie doch löst

Wie kommt der Zündstoff in die Zahnpastatube?

„Bertha, das Ei ist hart!“ – beginnt eine Sketch Loriots; die Gattin hat es zum Verdruss des Gatten nur „nach Gefühl“ gekocht. Jetzt tickt es einer Zeitbombe gleich auf dem Frühstückstisch und gibt dem Paar Anlass zum Meinungsaustausch über die Härten von Ei und Ehe. Immerhin, am Ende sieht der Gatte eine Lösung – ihr Ende: „Morgen bringe ich sie um!“ Ein nicht optimal zubereitetes Ei als Auslöser für Konflikte und Kapitalverbrechen? Warum steckt so viel Explosionskraft unter der Eierschale?

 

Worum geht’s hier eigentlich?

Legendär für solche Art Zank ist die Zahnpastatube. Kaum ein Paar würde zwar ernstlich behaupten, dass Verschluss- und Aufrolltechniken ein guter Grund für Streit wäre – und doch haben sie sich einen prominenten Platz unter den Konfliktherden erstritten. Aber wie ist der Zündstoff in die Tube gekommen? Vielleicht kann man es sich so vorstellen: Es sind explosiven Streitkulturen, die sich aus Unmut entwickelt haben, der sich seinerseits aus Ärger entwickelt hat. Ärger, dem der Mut fehlte, sich im rechten Moment Luft zu verschaffen. Der sich mutlos in der Seele staut, bis er sich schließlich unmutig durch den Tubenhals quetscht.

 

Schwer lösbarer Stellvertreter-Konflikt

Ein Streitgrund mit Hintergrund also: Ein ursprüngliches Konfliktthema, das ungelöst, weil unausgesprochen geblieben ist, verschafft sich einen Anlass, und sei er noch so nichtig. Solche Stellvertreter-Konflikte sind schwer zu lösen. Da mag ein Wort das andere geben und die Argumente unablässig hin und her fliegen – sie treffen alle nicht das Ziel. Der Konflikt dreht sich im Kreis, in dessen Mitte das eigentliche Motiv unbeachtet bleibt. Nehmen wir an, ein Partner wirft dem andere vor, er habe sein Pflicht, den Abfall wegzubringen, sträflich vernachlässigt. Darüber ließe sich reden. Was aber, wenn es gar nicht um Entsorgungsfragen geht? Sondern vielleicht um eine Enttäuschung vom Vortag? So sehr sich die beiden auch ins Zeug legen, der eine den Haushaltsplan als Beweisstück vorlegt und der andere exkulpierendend auf das gestrige Schneegestöber verweist – alles vergebens.

 

Wege aus dem Missverständnis

Und die Lösung? Dabei hilft Ihnen ein Prinzip, das auch Mediatoren nutzen, um konstruktive Lösungen möglich zu machen: Unterscheiden Sie – bei sich selbst und beim Gegenüber – zwischen Positionen und Interessen. Fragen Sie sich und den anderen, welche Anliegen hinter den behaupteten Standpunkten liegen. Typisch für Positionen sind Formulierungen wie „ich will, fordere, verlange, beanspruche“, einschließlich der jeweiligen Negation. Zu den Interessen dringen Sie vor, wenn Sie nach dem Warum fragen: „Warum ist es dir wichtig, dass...?“ So kommen Sie den versteckten streitursächlichen Motiven auf die Spur und eröffnen auch mehr Spielraum für Lösungen, – denn während Positionen meist nur ein ja oder nein zulassen, lassen sich Interessen auf vielfältige Art befriedigen.

 

So könnte es klappen

Werfen wir noch einen Blick ins Badezimmer eines Paares, das gerade einen Stellvertreter-Konflikt löst: Er (genervt): Kannst du nicht endlich lernen, die Zahnpastatube aufzurollen?! Sie: Ach, weißt du, ich finde es gibt Wichtigeres. Er (grimmig): Und dass es mir wichtig ist, zählt natürlich nicht. Sie: Hm, ich glaube, ich verstehe bisher noch nicht richtig, warum es dir wichtig ist. Magst du es mir erklären? Er (grummelnd): Als wäre das so schwer zu verstehen. Sie: Ich höre dir jetzt zu. Wenn es dir wichtig ist, dann mach dir bitte die Mühe. Er: Also, das ist Verschwendung, wenn die Hälfte der Zahncreme in der Tube bleibt, weil sie nicht gerollt wird. Pure Verschwendung! Sie: Um die Hälfte geht es wohl nicht, sondern um Reste. Aber gut: ich versteh, dass dir die Reste wichtig sind. Geht es dir dabei ums Geld? Er (aufgebracht): Willst du mir jetzt sagen, ich sei ein Pfennigfuchser?! Sie: Nein, ich frage einfach, warum es dir wichtig ist. Er (stotternd): Weil, weil...weil es ums Prinzip geht! Sie: Um welches Prinzip? Er: Na, darum, dass es nicht immer nach deiner Pfeife läuft. Ich halte es nun mal für sinnvoll, die Tube zu rollen – und wünschte mir, du würdest auch mal meine Interessen beachten. Sie: Verstehe ich dich recht: Du meinst, ich setze mich zu oft durch? Er (resigniert): Na, wie war das denn gestern Abend wieder: Statt Vivaldi zu hören, wie ich es mir längst gewünscht hatte, haben wir ferngesehen. Sie: Warum hast du denn nichts gesagt? Er: Ach, du könntest ja auch mal von selbst drauf kommen, was mir gefällt. Sie: Hm, darüber habe ich mir gestern wirklich keine Gedanken gemacht. Das tut mir leid. Wie wäre es mit morgen Abend: erst gemeinsam kochen, dann Musik hören? Er (lächelt): Wenn du wirklich willst. Sie (lächelt): Will ich! Und wie handhaben wir jetzt die Zahnpastatube? Er (grinst): Von mir aus kannst du Zöpfe reinflechten. Zugegeben, im realen Leben läuft es nicht immer auf ganz so geraden Gleisen zur Lösung. Aber als Vorbild taugt das Muster doch. Probieren Sie es aus – es klappt nicht nur bei Eiern, Abfall und Zahnpasta. Auch mit vertauschten Rollen der Geschlechter funktioniert es. Und im beruflichen Umfeld ist es nicht weniger wirksam.


Autor

Ass. jur. André Testrut
Wirtschaftsmediator (IHK)
Kaiserstraße 61
D-60329 Frankfurt am Main

Telefon: 069 / 27 22 76 55
E-Mail: info@sokratest.net


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